Ich begrüße Sie sehr herzlich zu der Ausstellung
von Candia Neumann und Ragnar Kopka.
Candia Neumann 1964 in Osnabrück geboren, hat eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin an der Kölner Schule für Kunsttherapie absolviert, bevor sie Kunst am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft in Duisburg-Essen studiert hat. Neben ihrer künstlerischen Arbeit übt sie kuratorische Tätigkeiten aus. Seit 2014 betreibt sie gemeinsam mit Ragnar Kopka das No Cube – ein paar Häuser weiter auf dieser Straße – das als Schau- und Atelierraum für Kunst und Medien genutzt wird.
Ragnar Kopka, 1970 in Lemgo geboren, studierte Medienproduktion sowie Video- und digitale Postproduktion an der Hochschule Ostwestfalen. Er arbeitet als freier Filmautor und Produzent hauptsächlich in den Bereichen Wissenschaftsfilm/Dokumentarfilm und war mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter für ethnografischen Film an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster tätig. Seine Leidenschaft gilt der Fotografie, dem interaktiven Film und neuen Erzählweisen des stereoskopischen Film. Die Arbeiten, die er hier in der Ausstellung zeigt, bezeichnet er selbst als Filmexperimente.
„keine Sahne et cetera“. Beide Künstler sind in einem Alter, in dem man noch Udo Jürgens Lied „Aber bitte mit Sahne“ kennen kann: „Sie treffen sich täglich um viertel nach drei aahh oojehh // am Stammtisch im Eck in der Konditorei aahh oojehh // und blasen zum Sturm auf das Kuchenbuffet – auf Schwarzwälder Kirsch und auf Sahnebaiser // auf Früchteeis, Ananas, Kirsch und Banane - - aber bitte mit Sahne“. Das Buffet, im ursprünglichen Wortsinn war damit eine Anrichte, ein Geschirrschrank oder Schanktisch gemeint, ist in der Arbeit von Candia Neumann zu einer Torten-, Kuchen-, Keks- und Desserttafel geworden.
Tafeln werden zu feierlichen Anlässen, zu Geburten, religiösen Festen, Hochzeiten, zu traurigen Anlässen Beerdigungen/Trauerfeiern, zu Firmenfeiern, Betriebsfeiern, Konferenzen, Staatsbesuchen – et cetera – für die geladenen Gäste gedeckt und jeder von ihnen saß zu dem ein oder anderen Anlass sicherlich schon an solch einer Tafel.
An der Tafel von Candia Neumann kann niemand Platz nehmen; es gibt keine Stühle. Aber seit es Malerei gibt, gibt es Darstellungen von Stillleben, Tischgesellschaften und Tafelrunden. Von Da Vinci über Breugel bis in die Gegenwart finden sie diese Darstellungen, die die Zeit und die Anlässe, zu denen sie gedeckt worden sind repräsentieren.
Auf einer Tafel finden sich verschiedenste Gegenstände: Geschirr, Besteck, schmückende Dekoration und natürlich Speisen. Die dargestellten Gegenstände wiederum lassen Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Anlass der Zusammenkunft und den Status der Gäste zu. Blechgeschirr oder kostbares Porzellan, bescheiden oder aufwändig präsentierte Speisen bieten dem Betrachter deutliche Hinweise auf die Gäste, die schon anwesend sind, oder noch erscheinen werden.
Die berühmteste Tischszene ist sicherlich „Das Abendmahl“ von Leonardo das Vinci. Es zeigt Jesus mit den zwölf Aposteln in dem Augenblick unmittelbar nachdem dieser ihnen erklärt hat: „Einer von euch wird mich verraten“ – sei letztes Mahl vor der Kreuzigung, vor dem Tod. Auch ohne christliche Prägung verbinden wir Tod mit dem eigenen Zerfall, am Ende des Lebens, zu Staub und Asche.
Das altgermanische Wort „Asche“ gehört zu der indogermanischen Wortgruppe „Esse“: „verbrennen“, im Sinne von Feuer machen, „in Asche legen“, etwas zerstören und „einäschern“, den Leichnam vor dem Begräbnis verbrennen.
Die Torten, Kuchen und Kekse auf Candia Neumanns Buffet sind aus diesem Material, gebunden mit reichlich Zuckerglasur.
„Asche“ gilt als Sinnbild der Vergänglichkeit, der Trauer und Buße. Das Bittere, der Tod und das „süße Leben“, gehen eine untrennbare Verbindung ein.
„Und das Ende vom Lied hat wohl jeder geahnt aahh oohjehh // der Tod hat reihum sie dort abgesahnt aahh oohjehh // die Hinterbliebenen fanden vor Schmerz keine Worte – mit Sacher- und Linzer- und Marzipantorte ---------------“.
Wie wollen Genuss ohne Reue, Spaß ohne Verantwortung, Konsum ohne Anstrengung.
Es gibt aber noch weitere Ableitungen aus dem Wort „Asche“, zum Beispiel „Aschenbrödel / Aschenputtel“. Dieses Wort führt uns zurück in unsere frühen Tage. Unter der Tafel hat die Künstlerin Räume geschaffen (einsehbar von der Straßenseite) die wie ein Puppenhaus wirken; wie eine Höhle in der Kinder spielen zum Schutz vor den Blicken der Erwachsenen haben sie – die Kinder – das Tischtuch auf einer Seite bis zum Boden gezogen.
Bis auf wenige pinke Farbpigmente hier, ein pinkes Licht da – alles grau. Die Torten auf dem Tisch sind grau, die Räume unter dem Tisch sind grau – Aschgrau. Die hohen grauen Seitenwände suggerieren Leblosigkeit, Einsamkeit, Einöde. Trist, wie Zellen von Gefangenen, Weggesperrten. Da ist es schon wieder vorbei mit dem heiteren Gedanke an spielende, glückliche Kinder, mit der Märchenwelt von Aschenputtel, Hänsel und Gretel; die es am Ende doch schaffen, die böse Hexe in den brennenden Ofen zu stoßen, auf das sie zu Asche wird; - ohne Sahne.
Doch zurück zu den Räumen unter der Tafel: Ist dort die Tortenfabrik, überwacht der Tortenfabrikant die unsichtbare Arbeit von unsichtbaren Arbeitern? Wir sehen nur leere Betten, verstreut herumliegendes Geschirr. Projiziert er diese Überwachung auf die Wand in seinem Büro (die Videoarbeit im hinteren Raum, sie ist eine Gemeinschaftsarbeit von Candia und Ragnar), komme ich doch noch zu meinem Märchen, zu den „Heinzelmännchen von Köln“, die niemand jeh gesehen hat, die des Nachts kamen und auch die Arbeit der faulen Menschen übernommen haben? Zu den zu erledigenden Arbeiten gehörte selbstverständlich auch die eines faulen Bäckermeisters. Doch beim Schneidermeister – Kleider machen eben Leute, wenn man nicht gerade „Des Kaisers neue Kleider“ trägt – hat der paradiesische Zustand ein Ende: Des Schneiders neugieriges Weib will herausfinden, wer des Nachts die Arbeit erledigt. Sie streut Erbsen aus, die Heinzelmännchen kommen, stürzen, fluchen und verschwinden auf nimmer Wiedersehen. Den Wunsch, andere zu überwachen, zu wissen was passiert, was im Verborgenen vor sich geht, gab es also schon lange vor der Videoüberwachung, der Vorratsdatenspeicherung; bevor Google, Facebook und co. So ein enormes Interesse an unser aller Leben, an unseren Vorlieben, an unserem Konsumverhalten zeigen. Nur nimmt diese weltweite Datensammelwut uns keine Arbeit ab; im Gegenteil: Wir liefern freiwillig und völlig ohne Zwang alle gewünschten Informationen über unsere Grundbedürfnisse Essen, Trinken, Kleidung Wohnung – et cetera. Erbsen auszustreuen wird und davor nicht bewahren.
Noch ein Tässchen Kaffee?
Noch ein kleines Baiser?
Oder soll es doch vielleicht ein Keks sein?
Was sie auch wählen, ich wünsche ihnen viel Freude an dieser wunderbar hintergründigen und poetischen Ausstellung.
Anke Gollub
Einführung anläßlich der Ausstellung "keine Sahne et cetera" von Ragnar Kopka und Candia Neumann, 17. April 2015, cuba, Foyer, Münster